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Eine kleine Geschichte
Eine kleine Geschichte aus meiner Studienzeit in Ungarn
Nach ca 2 Jahren habe ich mal wieder meine Website aktualisiert. Die Downloads unter Uni sind auch nochmal aktualisiert worden ich hoffe dass nun in Zukunft das ganze öfter passiert ausserdem werde ich ab sofort in unregelmäßigen abständen hier Kurzgeschichten posten. Hier schonmal eine kleine Vorschau:
Dienstagmorgen. Irgendwer klingelt an der Tür, hektisch springe ich vom Bett auf, stolpere über den Nachttisch um dann Kinn zuerst auf dem Fliesenboden zum liegen zu kommen. Rappele mich auf und werfe einige Beleidigungen in Richtung des Nachttischs, der sichtlich verdutzt auf der Seite liegt. Suche ein T-Shirt zum drüber ziehen. Renne T-Shirt anziehend zur Tür. Niemand da. Diesmal sind die Beleidigungen an den Klingler gerichtet. Gehe zurück ins Bett schlafen. Wache etwas später wieder auf. Benommen vernehme ich ein Gefühl in meinen Mundraum. Taste etwas mit meiner Zunge herum um etwaige Überreste der letzten Nacht zu finden. Finde nichts. Gefühl wird klarer. So langsam kann ich das Gefühl einordnen. Ich denke es ist Schmerz – hm – ja jetzt bin ich mir sicher, es ist aber nicht nur Schmerz, es ist schlimmer – Zahnschmerz! Mein Gewissen schaltet sich ein: „Jetzt Mensch jammere hier nicht so rum, schließlich gehörst du der Gattung Mann an. Hab dich nicht so andere jammern ja auch nicht.“ Das Gewissen wird schon recht haben, bin ja sonst auch vielleicht etwas Aufmerksamkeitssüchtig. Vielleicht kann ich die Schmerzen als Ausgleich benutzen. Dann darf ich demnächst auch wieder bei einer Nichtigkeit umso lauter jammern. Beschließe also den Schmerz nicht weiter zu beachten. Im Badezimmer übermannt mich jedoch die Neugier. Mit Hilfe der Zahnbürste sowie einiger anderen Badezimmerutensilien, die eigentlich nicht zur Benutzung im Mund gedacht sind, wird der Verursacher sichtbar: Ein Loch. Obwohl ja eigentlich ein Loch nicht weh tun kann, denn ein Loch ist ja – eben nichts. Die fiesen Bakterien, die ich schon aus dem Kinderheft von der Apotheke kannte, müssen daran schuld sein. Überlege praktisch, wie vertreibe ich die schmerzerzeugenden Bakterien von dem Zahn? Versuche es mit Schreien. Meine Zahnbergbauer scheinen schallresistent – kein Wunder Bergbau ist auch nicht gerade als ein leiser Beruf bekannt. Wahrscheinlich übertönt die hektische Zahnbergbauarbeit mein Schreien. Überlege wieder, letztens sah ich doch diese Fernsehwerbung: „Domestos beseitigt 99% aller bekannten Bakterien“ Greife zur Domestosflasche – denke „Na man soll nicht alles glauben was im Fernsehen kommt“, und stelle sie wieder zurück hinters Klo, wo sie bis zum nächsten Besuch meiner Mutter ein einsames Schattendasein fristen wird, vielleicht leistet ihr ja der gräulich-grüne Schimmel bis dahin Gesellschaft. Meine Überlegungen gehen weiter, tiefenreinigend sollte das Mittel aber schon sein, schließlich sollte es ein tiefes Loch reinigen. Mein durchs Badezimmer schweifender Blick bleibt an der Aftershave Flasche hängen. Tiefenreinigend ist das – merke ich ja jeden Morgen. Gurgle also 5 Minuten ausführlichst mit Aftershave. Zuerst ein kurzes Zucken, dann ist der Schmerz doch erst einmal weg. Als ich das Aftershave ausspucke merke ich dass ich gewisse Bewegungsprobleme im Bereich der Lippen und Backenmuskulatur habe. Sabbere den Rest des Tages schmerzfrei vor mich hin. Muss lernen. Kann nicht sabbernd in die Bibliothek um dies dort zu tun. Flüssigkeiten sind in den Räumen nicht gestattet. Setze mich also an meinen Schreibtisch. Sabbere das Buch voll. Lege mir eine Küchenrolle unter – die saugt sich voll und klebt mit dem Buch zusammen. Hole einen Eimer, klemme diesen zwischen mich und den Schreibtisch und lege davor das Buch. So kann ich ohne mein Buch zu bewässern gut lernen. Abends bekomme ich Hunger. Will schnell mit dem Auto zu Lidl fahren um etwas zu Essen einzukaufen. Gehe auf die Straße. Stelle fest dass kein Auto da ist. Der Besitzer des Ladens neben meiner Haustür kommt mir gutgelaunt entgegen. Frage Ihn ob er mein Auto gesehen habe. „Ja habe ich, wurde heute Morgen abgeschleppt. Hab noch versucht zu klingeln aber hat niemand aufgemacht.“ Na super. Der Platz an dem man das Autoabholen kann ist am anderen Ende der Stadt. An dem Ende der Stadt zu dem keine Bus oder Tram Linie führt. Gehe dort zu Fuß hin. Ist ja auch schön so ein Abendspaziergang. Als ich das Auto auslöse habe ich damit auch das Geld für etwaiges Essen ausgegeben. Fahre missmutig nach Hause und lege mich ins Bett.
Mittwochmorgen. Wache diesmal gleich mit Schmerz auf. Fahre in die Uniklinik. Komme mir schon ein wenig toll vor. Kann später mal sagen dass ich in Ungarn in einer Uniklinik war. Obwohl als Medizinstudent ist das ja nicht unbedingt sowas außergewöhnliches. Während der Fahrt bereite ich mich mit Langenscheidts „Perfekt Ungarisch in 30 Tagen“ auf die Klinik vor. Der Satz ist einfach nur 3 kurze Wörter: „Fáj a fogam.“ Das heißt ich habe Zahnschmerzen. In der Klinik gehe ich auf die Rezeptionistin zu und spreche laut und deutlich mein „Fáj a fogam.“ Sie entgegnet mir „Sehr gut, schön wenn die Studenten hier versuchen die Landessprache zu erlernen. Nun warten Sie hier kurz es wird sich gleich jemand um Sie kümmern“. Dass ich kein Ungar bin das kann man ja an meiner Aussprache merken, aber dass ich Deutscher bin? Und überhaupt warum lerne ich Ungarisch und breche mir dabei einige Zacken aus der Krone wenn hier sowieso jeder perfekt Deutsch und Englisch spricht? Traurig, dass niemand mit mir Ungarisch sprechen will, setze ich mich hin. Der erste Arzt, jung und dynamisch bittet mich herein. Auf akzentfreiem Englisch klärt er mich darüber auf was denn los sei: Ich habe ein Loch im Weisheitszahn, ob man den Zahn retten könne müsse man per Röntgenaufnahme sehen. Ich werde zum Röntgen geschickt. Eine etwa 50 jährige dicklichere Krankschwester nimmt sich meiner an, sie rammt mir irgendein Plastikgerät in den Mund um bei dieser Aktion sämtliches sich in Nachbarschaft befindliches Zahnfleisch zwanglos weg zu hobeln. Mein lächeln ist nun etwas rötlicher. Nach den Aufnahmen treffe ich den Arzt wieder, er hat sich einen Kollegen zur Beratung geholt, jener spricht perfektes Deutsch, beide unterhalten sich auf Ungarisch. Um etwas zu beeindrucken werde ich immer wieder ein „Ah, ertem.“ dazwischen, was so viel heißt wie „Ah, ich verstehe“. Beide ärzte kommentieren dies mit einem gequälten Lächeln. Letztendlich steht fest: Ich muss bleiben, der Zahn muss gehen. Ich komme in eine Zahnwerkstatt. 5 Zahnarztstühle sind nebeneinander aufgebaut auf denen nebeneinander 5 Patienten sitzen an denen nebeneinander 5 Zahnärzte arbeiten. Ein weiterer Arzt geht herum und sieht sich nacheinander die Patienten an. Als ich an der Reihe bin kommen zwei ärzte zu mir der eine stellt sich als Professor vor. Ich fühle mich geehrt. Eine Behandlung vom Professor, sowas bekommt man sonst ja nicht so leicht. Mein Glücksgefühl weicht jedoch dann sehr schnell aus mir als er mir erklärt dass der mich behandelnde Arzt ein Student in der Abschlussprüfung sei. Der Student lächelt mich etwas hämisch grinsend an. Diesmal lächle ich etwas gequält zurück. Zuerst spritzt mir der Prüfling ein Schmerzstillendes Mittel, nach 20 Minuten haut er mir auf die Backe und fragt ob ich etwas fühle. Fühle wie meine Backe schwillt und schmerzt, sage ihm das. Er verpasst mir eine zweite Spritze, nach wiederum 20 Minuten fängt er an meinen Zahn zu ziehen. Sitze unter der Decke, das Schmerzmittel scheint nicht da zu wirken wo es sollte, dafür sabbere ich wieder wie gestern. Denke mir „na toll da hätte ich ja auch wieder nur mit Aftershave gurgeln können“. Er gibt mir noch eine Spritze, wiederrum warten wir 20 Minuten, dann beginnt er zu ziehen auf meinen Schmerzerfüllten Einwand geht er diesmal nicht mehr ein. Er zieht mit einer Zange und drückt mir ein Eispickelartigen Gegenstand in den Unterkiefer. Nach ein paar Minuten ist alles vorbei. Der Arzt klärt mich auf 3 Tage lang kein Kaffee, Nikotin und Alkohol. Komisch, ich dachte ich wäre hier um zu studieren nicht auf einer Klosterschule. Aber kein Betteln hilft etwas. Und den Zahn durfte ich auch nicht mit nach Hause nehmen.